Geschichte Der große Hof

[Harzkäse] [Das Wappen] [Übersicht] [Vorgeschichtliche Funde] [Ein Blick durch das Kaleidoskop] [Aus alten Urkunden] [Kurzer einfeltiger nothwendiger Bericht] [Der Harzer hat das Käsebacken überdauert] [Rundgang durch das alte Dorf] [Entwicklung der Landwirtschaft] [Der grosse Hof] [Die Flurnamen] [Geschichten aus dem Knauf] [Doch einen Bahnhof wollten sie nicht] [Warum Immenrode keine Badeanstalt bekam] [1000 Jahre dazwischen] [Als der Krieg zu Ende war] [Doeneken] [Unser Okerstand] [Viele Bruennlein fliessen] [Wieder Chancen für die Weddekrebse] [Das Ende 886 Jahre nach der ersten Währung] [Einigkeit macht stark] [Wer will fleißige Handwerker sehn] [Hol mir mal die Suelzepresse] [Über 100 Jahre Schützentradition] [Brieftaubensportverein ‚Harzbote-Immenrode‘]


(Karl-Heinz Impe)

Immenrode gehörte in ältester Zeit zum Lerigau, aus ihm ging das Gericht Bacla (heute Buchladen) hervor. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde das Gericht geteilt, und das Südstuck mit Immenrode kam zum Amtsbezirk Wiedelah. Von 1523 bis 1643 stand das Amt unter Braunschweigischer Landeshoheit; als das »große Stift« 1643 wieder an das Bistum Hildesheim kam, wurde Amt Wiedelah dem Domkapitel übergeben. Dem Domkapitel gehörte ein Gut zu Immenrode, das von Wiedelah aus bewirtschaftet wurde, dadurch kam es, dass man um 1860 von Immenrode als einem Vorwerk von Wiedelah redete. Dieses domkapitularische Gut, im Volksmund der »große Hof« genannt, umfasste 373 Morgen Land und 30 Morgen Wiesen. Das Gut bestand ursprünglich aus zwei Ackerhöfen, von denen der »Quitzowsche Hof« 1564 von Dietrich von Quitzow, dem damaligen Besitzer des Schlosses Wiedelah, angekauft war. Der andere Hot war der sogenannte »Banßhof«.
Die geschichtliche Entwicklung hatte zur Folge, dass nach 1900 das Vorwerk Immenrode der Domäne in Weddingen zugeschlagen und von dort mit verwaltet wurde. Wie aus einem im Besitz des heutigen Pächters der Domäne Weddingen, Eberhard Breustedt, befindlichem Pachtvertrag zwischen der königlichen Finanzdirektion, Abteilung Domänen zu Hannover, und dem Herrn Domänenpächter, Oberamtmann Carl Harke zu Wiedelah vom 22. August 1871 hervorgeht, gehörte das Vorwerk zu Wiedelah.Die Laufzeit der Pachtvertrage betrug 17 Jahre und begann und endete jeweils am Johannistag (24. Juni). Die Gesamtpachtfläche belief sich auf 622,968 ha. Davon entfielen auf das Vorwerk Immenrode 143,336 ha. Hinzu kamen noch 9,519 ha. die 1851 an Immenröder Brinksitzer (kleine Bauern) und Häuslinge (Besitzer eines kleinen Bauernhauses ohne eigenes Land) verpachtet worden waren, aber vom 1. Mai 1872 wieder der Domäne zugeschlagen werden sollten. Ausgeschlossen van der Verpachtung waren, Immenrode betreffend, der sogenannte »Immenröder Sackzehnten« und der »Immenröder Fleischzehnten von Hühnern und Gänsen«. Der jährliche Pachtzins war in Talerwährung zu bezahlen und betrug insgesamt 10.600 Taler. Der Pachtvertrag sah für den Pächter auch auf den Immenröder Pachtstücken ruhende Verpflichtungen und Naturalienlasten vor.
Dazu hieß es in § 16 des Pachtvertrages: »Von dem Vorwerk Immenrode sind der dortigen Gemeinde als Zuchttiere drei Zuchtstiere, ein Eber und sieben Gänseriche zu halten.« Weiter heißt es: »Von dem Vorwerk Immenrode sind ferner als sogenannte Pröven alljährlich zu leisten:
a) An den Pastor daselbst 4 Würste und 4 Brode, 2. Januar fällig.
b) An den Schulleiter daselbst 2 Brode, 2 Würste sowie 1,341 Hektoliter oder 4 Himpten, 1 Metze, 7/8 Hoop Hannoverschen Roggen, Martini fällig.
Außerdem an das Armenhaus zu Wiedelah jährlich 110 Mark.«

Im Jahre 1906 übernimmt Otto Breustedt sen., von seinem Vorpächter, Amtsrat Wilhelm Lampe (der Pachtvertrag hier rüber liegt nicht vor) – das Vorwerk war im Jahre 1900 von Wiedelah der Domäne Weddingen zugeordnet worden – die Domäne Weddingen, ein alter Komturhof des Deutsch-Ritterordens, mit dem Vorwerk Immenrode. Die geschäftsnahe Abwicklung des Domänenbetriebes war von Pachtbeginn an mit Schladen gekoppelt. Von 1912 – 1937 leitete der Schwiegersohn von Otto Breustedt, Wilhelm Schriever, als Administrator den Betrieb. Heute wird er wieder von den Söhnen in gerader Linie geleitet.

Der Pachtvertrag zwischen der königlichen Regierung, Abteilung für Domänen und Forsten zu Hildesheim und dem Herrn Gutsbesitzer Otto Breustedt zu Schladen vom 30. Mai 1906 hatte eine Laufzeit bis Johannis 1925 und umfasste eine Pachtfläche von 309,4169 ha., die Fischerei in der Wedde, sowie die Mitberechtigung am Immenröder Gemeindeholze. Nach diesem Pachtvertrag musste der Pächter der Gemeinde nur noch 3 Zuchtstiere und einen Eber vorhalten. Das Halten von sieben Gänserichen und die Naturalleistungen an den Pastor und den Schullehrer waren zwischenzeitlich entfallen. Der Schafstall, vermutlich Immenrodes ältestes Gebäude, 1612 erbaut, 1912 umgebaut, wurde durch einen Anbau, der als Scheune diente, erweitert. Das Alter des Wohnhauses ist nicht bekannt. Das Baujahr wird auf 1700 geschätzt.

Zum Vorwerk gehörten noch acht Werkswohnungen außerhalb des eigentlichen Domänengebäudes. Das älteste außerhalb des Geländes stehende Gebäude ist die »Wanderarbeiter-Kaserne« – im Volksmund heute noch »Polenkaserne« genannt an der Vienenburger Straße, die 1796 gebaut wurde. Das Baujahr war auf dem Stirnbrett vor den Balkenköpfen an der Sudseite deutlich lesbar.
1910 wurde das »Aufseherhaus« – (heute Wohnhaus von Frau Bunk) an der Lohnbachstraße – Später wohnte dort der Schafhirte – gebaut. »Im Kruggarten« – Weddinger Straße – wurden 1912 ein Zweifamilienhaus und in den Jahren 1938 und 1939 im Grünen Saal je ein Landarbeiter Doppelhaus errichtet. Ferner gehörten die 1902 an der Weddinger Straße und die 1908 am »Kleinen Meyerkamp« erbauten Holz-Feldscheunen zum Besitz des Vorwerks Immenrode. Während die Scheune an der Weddinger Straße abgerissen wurde, wird die am Meyerkamp stehende Scheune heute noch von der Domäne Weddingen genutzt.

Am 1. Oktober 1976 wurden die an der Vienenburger/Weddinger Straße liegenden Gebäude (gesamte Hofstelle) an Frau Ilse von Hof verkauft. Das Land wird heute von der Domäne in Weddingen bewirtschaftet. Die Bullenhaltung beschäftigte Pächter, Domänenverwaltung, Stadt Vienenburg und Realgemeinde noch bis 1976. Erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Ablösung. Der Streitwert für den letzten Zuchtbullen betrug 80.000, – DM. Hiervon mussten vom Pächter 50.000,- DM und von der Domänenverwaltung 30.000, – DM aufgebracht werden. Auf Grund der Tatsache, dass die Domänen schon früher »buchführungspflichtig« waren, ist heute noch die Anzahl der Arbeiter sowie der Vieh bestand ersichtlich.

Wie beispielsweise aus dem Bestandsverzeichnis hervorgeht, gehörten dem Vorwerk Immenrode im Jahre 1906 immerhin 16 Pferde, 9 Zugochsen, 49 Stck. Rindvieh (Ochsen, Kühe, Rinder und Kälber), 350 Schafe, 8 Mastschwein diverses Federvieh an. Fern eine Eintragung: »2 Glucken brüten auf 30 Eiern«. Der Wert des Viehbestandes wird mit 38267.- Mark angegeben. Dieser Bestand änderte sich bis Anfang der 50er Jahre, abgesehen vom Schweinebestand kaum. So gehörten dem Vorwerk Immenrode 1951 noch 14 Pferde, 54 Stck. Rindvieh, 386 Schafe und 50 Schweine an. (1951 war ein neuer Schweinestall gebaut worden.) Bereits 1954 – zwischenzeititlich waren mehrere Traktoren angeschafft worden – gab es nur noch 8 Pferde. Der übrige Vieh bestand mit 54 Stck. Rindvieh, 392 Schafen veränderte sich nur unwesentlich.

1956: 7 Pferde; 48 Stck. Rindvieh 65 Schweine; 335 Schafe
1958: 7 Pferde; 54 Stck. Rindvieh 54 Schweine; 351 Schafe
1959: 6 Pferde; 46 Stck. Rindvieh 55 Schweine; 358 Schafe
1960: 2 Pferde; 42 Stck. Rindvieh 54 Schweine; 340 Schafe

Dieser Viehbestand hielt sich bis in die Jahre 1970/1971. In diesen Jahren wurde dann das Vieh in Immenrode völlig abgeschafft. Bereits im Jahre 1796 wurde an der Straße nach Wöltingerode – heute Vienenburger Straße – die sogenannte „Wanderarbeiter-Kaserne“, – an anderer Stelle auch „Polenkaserne“, genannt – gebaut. Spätestens seit dieser Zeit, vermutlich aber schon viel früher, kamen während der Saison – von Mitte April bis Ende November – männlich und weibliche Arbeitskräfte aus Polen und Oberschlesien auf die Güter unserer Gegend, um hier zu arbeiten. Die Vorfahren von etlichen heute in Immenrode und Weddingen lebenden Mitbürgern waren Mitte des vorigen Jahrhunderts nach hier gekommen, hatten sich hier verheiratet oder fanden eine ständige Beschäftigung und waren hängen geblieben. Die Wanderarbeiter, die in der Wanderarbeiter-Kaserne wohnten und schliefen, wurden von der Frau des Futtermeisters, der auch dort wohnte, versorgt. Das Essen wurde auf einer »Großen Grude«, die mit Koks geheizt wurde, gekocht.

Wie aus alten Lohnbüchern der Jahre 1894 – 1898 hervorgeht, arbeiteten in diesen Jahren durchschnittlich 17 polnische Männer und Frauen auf dem Immenröder Vorwerk. Der Tageslohn betrug je nach Arbeit zwischen 1,10 und 1,50 Mark. Der polnische Vorarbeiter erhielt eine Tageslohn von 2,- Mark. Bei besonderen Arbeiten, wie z. B. beim Düngerstreuen – natürlich mit der Hand – wurde ein Zuschlag von 30 Pfennig pro Tag gezahlt. Von diesem Verdienst mussten noch täglich je nach Höhe des Tageslohns 7 – 12 Pfennig für die Krankenkasse und durchschnittlich 57 Pfennig für die Invalidenkasse abgeführt werden. Die Lohnbücher geben auch Auskunft darüber, dass die Wanderarbeiter keinen Anspruch auf volle Wochenarbeitszeit hatten. Sie wurden zwischen 3 und 6 Tagen in der Woche eingesetzt. Es gab aber auch Wochen in denen sie nur einen halben Tag eingesetzt wurden. Bei einem Tageslohn von 1,10 Mark abzüglich der o. a. Kosten wurden dann nur noch 41 Pfennig für die Woche ausgezahlt.
Die 24. Woche – vom 13. -19.06.1897 sollte nicht unerwähnt bleiben. In dieser Woche arbeiteten die Wanderarbeiter nur eineinhalb Stunden. Da die Arbeiter hierfür nur 15 Pfennig verdienten – hiervon gingen 7 Pfennig für Krankenkasse und 7 Pfennig für die Invalidenkasse ab – wurde noch 1 Pfennig ausgezahlt. Die Spitzenverdiener mit einem Tageslohn von 1,50 Mark, mussten in dieser Woche bei einem Verdienst von 22 Pfennig noch 12 Pfennig für die Krankenkasse und 10 Pfennig für die Invalidenkasse abführen, so dass der auszuzahlende Betrag »Null« betrug. Anstatt des Tageslohnes, hierfür musste natürlich täglich 10 Stunden, auch Samstags, gearbeitet werden, gab es auch Akkordlöhne. So gab es z. B. für das Wickfuttermähen 1,50 Mark pro Morgen, für das Getreide- oder Rübenhacken 2 – 3 Mark je Morgen, für das Rübenroden auf den Wagen gab es 9, -, in Mieten bringen und Abdecken 12, – Mark je Morgen. Für das Milchfahren an Sonntagen gab es 50 Pfennig, für 1 Nachtwache 75 Pfennig. Für ein Schock (60) Strohseile binden gab es 5 Pfennig, für das Wasenhacken eineinhalb Pfennig pro Stück.

Die ständigen Arbeitskräfte und die Wanderarbeiter reichten allerdings nicht aus, um in Spitzenzeiten alle anfallenden Arbeiten zu erledigen. So wurden z. Bsp. laut Lohnbuch in einer Woche bis zu 85 Frauen aus dem Dorf eingesetzt. Der Tageslohn dieser Frauen lag zwischen 60 und 80 Pfennig je nach Schwere der Arbeit. Einige Frauen führten hiervon noch 7 Pfennig für die Invalidenversicherung ab. Während die polnischen Wanderarbeiter in den früheren Jahren freiwillig zum Arbeitseinsatz nach Deutschland kamen, wurden sie während des 2. Weltkrieges auch »zwangsverpflichtet«. So kamen auch auf die Domäne Weddingen und auf das Vorwerk Immenrode It. Lohnbuch 11 Polen und 17 Russen. 1940 wurden neben den polnischen Wanderarbeitern auch 16 italienische Saisonarbeiter angeworben.

Nachdem die Zwangsverpflichteten ausländischen Arbeiter nach Ende des 2. Weltkrieges Deutschland verließen bzw. aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, kam der Flüchtlingsstrom aus dem Osten. Viele Flüchtlinge und Vertriebene fanden in den Jahren 1945 und 1946 auf dem Immenröder Vorwerk Arbeit. So traten z B 1945 33 männliche und 7 weibliche Arbeitskräfte in den Dienst der Domäne. 1946 waren es nochmals 13 männliche und 4 weibliche. In den Folgejahren versuchten viele wieder in ihren alten Berufen unterzukommen. So waren von den in den Jahren 1945 und 1946 eingetretenen Arbeitskräften im Jahre 1950 nur noch 12 männliche und 1 weibliche Arbeitskraft bei dem Domänen-Vorwerk beschäftigt. 1955 war diese Zahl sogar schon auf 3 männliche Arbeitskräfte gesunken. Während 1950 noch insgesamt 24 männliche und 15 weibliche Arbeitskräfte beschäftigt waren, sank die Zahl bis 1955 auf 15 männliche und 10 weibliche herab.

Mit zunehmender Modernisierung und Einführung neuer Arbeitsmethoden sank die Zahl der Arbeitskräfte in der Folgezeit ständig nach unten. Als in den Jahren 1970 bis 1972 das Vieh abgeschafft wurde, nahm die Zahl nochmals beträchtlich ab. Zuletzt waren es nur noch 2 männliche Arbeitskräfte, die den Betrieb mit hochmodernen Maschinen bewirtschafteten. Heute geschieht der Arbeitseinsatz von Weddingen aus.
Mit dem Verkauf des gesamten Domänengeländes am 1. Oktober 1976 an Frau Ilse von Hof ging ein Stück Immenröder Tradition verloren.