Geschichte Hol mir mal die Sülzepresse …

[Harzkäse]
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(Rudolf Bock)

Das Schlachtefest bei meinen Großeltern Mathilde und Hermann Bock war für mich als Kind immer ein ganz besonderes Erlebnis. Schon Tage vorher wurde für diesen Tag gerüstet. Meine Großmutter hatte alle Hände voll zu tun mit dem Scheuern der Büchsen, dem Bereitstellen von Mollen und großen Töpfen und dem Zusammenholen der Schote aus der Nachbarschaft. Einen Tag vor dem Schlachten wurden Semmeln gebacken; das Brennholz wurde am Kessel bereitgestellt, damit am Schlachtetag rechtzeitig genug heißes Wasser zum Abbrühen vorhanden war. Endlich war es dann soweit. Schon in aller Herrgottsfrühe rührte sich so einiges im Hause Meine Großmutter machte den Kaffeetisch fertig, während mein Großvater alle Tätigkeiten in Waschküche und Hof übernahm. Pünktlich um 7.00 Uhr kam Heinrich Wagenführ, der Schlachter. Schwer beladen mit Kloppzeug, Haarekorb und Köcher für Messer und Stahl, war der Weg quer durchs Dorf.

Für ihn im Winter recht beschwerlich, zumal er nicht gut zu Fuß war So kam die Aufforderung meiner Großmutter »Denn wollen wir man erst mal Kaffeetrinken.., gerade recht. Alle, die beim Schlachten helfen wollten, saßen gemütlich bei Semmel, Ziegenbutter und Marmelade um den Tisch bis es draußen dämmerte, und dann ging es los. Der Schlachter ging in den Stall, um das Schwein anzubinden. Nach einigen unfreiwilligen Runden war das dann auch endlich geschafft. Das Schwein war am Strick. Vor dem Stall war ein Bund Stroh ausgebreitet, Heinrich Wagenführ setzte den Pickel an, mein Vater musste schlagen, ein Aufschrei, und es war passiert. Nun ging alles sehr schnell. Es wurde gestochen, das Blut floss in einen Steintopf, wo es unter kräftigem Rühren vor dem Gerinnen bewahrt wurde. Ich musste auf Befehl des Schlachters den Schwanz lang ziehen »damit es eine lange Schlacke gibt«. Das Schwein wurde in der Schote gebrüht. Mit einer Leiter unter kräftigem Ziehen wurde das Schwein auf den Schlachttisch gehievt. Während des Krieges war der übliche Schnaps danach nichts alltägliches.
Wenn das Fleisch für die Garwurst abgeschnitten war, wurde das Schwein in Laken gewickelt, damit die Katzen nicht daran konnten, und dann ging die »Mannschaft« zum Frühstück. Nur selten war noch Wurst vom Vorjahr vorhanden, denn die Schlachtevorräte waren meist schon alle. Für mich als Kind waren die Geschichten, die beim Frühstück erzählt wurden. immer das Schönste.
Heinrich Wagenführ sagte nun:
»Kriegt man das Fleisch in den Kessel, ich bin in einer Stunde wieder da« Und er ging los, um sich umzuziehen In der Zwischenzeit holten wir das Schlachtegeschirr von der Stelle, wo am Vortag geschlachtet worden war. (Das Holen und Bringen von Schlachtegeschirr war oftmals eine recht feuchtfröhliche Angelegenheit) Wenn der Schlachter zurückkam, wurden die Därme gebunden.
Das gargekochte Fleisch kam je nach Sorte in die Mollen, und zunächst wurden Leberwurst, Knackwurst, Rotwurst, Sülze und Semmelwurst gemacht.
Beim Schlachten ging es immer fröhlich zu. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Onkel einmal aufgefordert wurde, einen Teller aus dem Schrank zu holen. Der Schlachter brauchte ihn, um die Luft
aus der Blase darauf zu tun. Ein anderes Mal wurde ein Neuling in die Nachbarschaft geschickt, um die „Sülzepresse“ zu holen. Schwer beladen kam er mit einer Kiepe zurück, aus der unter größtem Gelächter Backsteine und ein dicker Holzklotz zutage befördert wurden. Zum Kaffeetrinken gab es wieder selbstgebackene Semmel oder auch mal Zuckerkuchen. Und dann ging es zur Hauptsache: Das gut durchgekühlte Schwein wurde hereingeholt und zerteilt. Zwei Mann drehten dann das Mettwurstfleisch durch, damit Mett- und Schwärchenwurst gemacht werden konnte. Manchmal wurde dann jemand beauftragt, den „Schlackenbohrer“ zu holen.

Übrigens beurteilte man damals die Güte des Schweines nach der Höhe der Speckseiten. Je höher, desto besser, man sprach von „handbreit“. Wenn alle Arbeiten beendet waren, ging ich mit meinem Großvater zu Martha von Hof im Kirchteich zum Büchsen zu machen. Wintertags war das immer eine „Bärenreise“ auf der holprigen Straße. Wenn wir zurückkamen, hatte meine Großmutter schon ein Stück Nackenbraten in der Pfanne, denn das Abendbrot war in greifbare Nähe gerückt. So gegen 18.30 Uhr versammelten sich alle, die beim Schlachten geholfen hatten, in der Stube, um ein kräftiges Stück Fleisch zu essen. Es gab Nudelsuppe, Schweinenacken, Braunkohl, Salzkartoffeln und zum Nachtisch Eingemachtes – Kirschen, Zwetschgen oder Birnen. Je nach Stimmung wurde noch ein bisschen erzählt, und damit ging für mich ein schöner erlebnisreicher Tag zu Ende, denn das Schlachtefest war immer ein Höhepunkt des Jahres.