Geschichte Warum Immenrode keine Badeanstalt bekam

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(P.-O. Gutmann)

…. und was sonst so alles beraten, entschlossen und beschlossen wurde…
Allerlei Interessantes aus Gemeinderatsprotokollen zwischen 1935 und 1950.

Nationalsolzialismus – Krieg – Nachkriegszeit: Jahre, die das Schicksal Deutschlands, die Geschicke der Menschen und das Leben in unserem Dorfe entscheidend beeinflusst und verändert haben. Welche Auskünfte geben die Protokolle von Gemeinderatssitzungen über diese Zeit?

Da fällt zunächst auf, wie selten der Gemeinderat in den zehn Jahren von 1935 bis 1945 getagt hat; in den Kriegsjahren sogar nur einmal im Jahr, und dies jeweils im Juni, um den Haushalt für das laufende Jahr zu beschließen. Diese seltenen Tagungen erscheinen aber nicht mehr verwunderlich, wenn man erfährt, welche starke Stellung der Bürgermeister in der Nazizeit hatte und wie einflusslos und schwach dementsprechend die Gemeinderäte waren.

Im Vorwort des Protokollbuches heißt es:
„Der Bürgermeister trifft alle Entschließungen in voller und ausschließlicher Verantwortung. Er hat sich zur Vorbereitung wichtiger Entschließungen des sachverständigen Rates der Gemeinderäte zu bedienen, trägt jedoch die Verantwortung in vollem Umfang allein. Seine Entschließungen werden anschließend an die Niederschrift über die Beratung eingetragen …«
Auch beim Bürgermeisteramt galt das Führerprinzip: Die Gemeinderäte wurden angehört, die Entschließungen traf der Bürgermeister allein. Gemeinderäte wurden auch nicht gewählt, sondern „vom Beauftragten der NSDAP ernannt“. Dieser Beauftragte war in der Regel wiederum der Bürgermeister, der sich mit Männern seiner Wahl umgeben oder diese auch wieder entlassen konnte. So schreibt Bürgermeister Zimmermann am 18.10.1935 ins Protokoll: „Die vom Beauftragten der NSDAP ernannten Gemeinderäte wurden vereidigt und von Bürgermeister Zimmermann in ihr Amt eingeführt.« Wie dann eine Gemeinderatssitzung aussah, geht z. B. aus dem Protokoll vom 10. Dezember 1936 hervor. Hier ging es um die Erhöhung der Bürgersteuer auf 300 % des Landessatzes (vorher 100%). Herr Zimmermann schreibt ins Protokoll:
„1. Gemeinderat Richard Wolf glaubt eine Erhöhung in heutiger Zeit nicht verantworten zu können, da andere Steuern und Lasten derartig angewachsen sind, dass eine Neubelastung nicht ratsam ist.
2. Gemeinderat Fritz Meyer verzichtet aufs Wort.
3. Gemeinderat Heinrich Steckhahn glaubt nach den heutigen Verhältnissen die neue Last nicht noch aufbringen zu können.
4. Gemeinderat Richard Mund hält eine Erhöhung für möglich aufgrund von Erkundigungen, welche er bei den Volksgenossen angestellt hat.
5. Gemeinderat Heinrich Bosse lehnt eine Erhöhung ab, da die heutigen Verhältnisse nicht dazu angetan sind.“.
Anschließend trägt Herr Zimmermann folgende „Entschließung des Bürgermeisters“ ein: „Da ich den Einwendungen der ablehnenden Gemeinderäte nicht zu folgen vermag … beschließe ich hiermit die Bürgersteuer auf 300 % des Landessatzes.«

Aber manchmal setzten sich doch die Gemeinderäte durch, und dies geschah z. B. bei den Beratungen über den Bau einer Badeanstalt am 29.6.1936. Herr Zimmermann schreibt ins Protokoll:
„1. Gemeinderat Richard Wolf glaubt, dass auf die Mitarbeit der Bauern nicht zu rechnen sei wegen der schlechten Stimmung in der Landwirtschaft. Die Gründe dieser schlechten Stimmung seien die Landarbeiterknappheit und die geplante Milchlieferungspflicht an die zu erbauende Molkerei in Goslar.
2. Gemeinderat Fritz Meyer glaubt nicht an das Gelingen des vorgelegten Planes, wenn nicht die Landwirtschaft mitmacht.
3. Gemeinderat Richard Mund stimmt dem Plan zu, behielt sich aber endgültige Stellungnahme nach Vorlage genauer Finanzierungsunterlagen vor.
4. Gemeinderat Heinrich Steckhahn enthält sich einer Stellungsnahme, weil er in seiner Entschlusskraft nicht frei zu sein glaubt.
5. Gemeinderat Heinrich Bosse gibt eine widerspruchsvolle Erklärung ab.
Der 1. Beigeordnete Hermann Fricke war gegen den Plan und gab dieses in der Besprechung kund.
Schulleiter Etzrodt bewies die Wichtigkeit einer Badeanstalt und befürwortete den Plan.
Bürgermeister Zimmermann bedauerte, dass ein jahrelanger Wunsch der gesamten Jugend und eine zwingende Notwendigkeit im dritten Reich und sein eigener Wunsch für alle Volksgenossen einen herrlichen Fortschritt zu bringen durch die Einstellung der Mehrheit der Gemeinderäte gefährdet werden konnte…“
Als „Entschließung“ trägt Zimmermann dann mit Datum vom 15 07 36 ein:
»Der Plan zum Bau einer Badeanstalt wird zurückgestellt.“

Wo die Badeanstalt gebaut werden sollte, erfährt man nicht, und dies bleibt auch im Dunkel, als in der Nachkriegszeit noch zweimal über den Bau einer Badeanstalt verhandelt wird. Im Sitzungsprotokoll vom 20. 7.1946 heißt es:
„Bürgermeister Niemeyer erörterte den Antrag wegen Errichtung einer Badeanstalt. Es wurde über den Antrag abgestimmt und mit Stimmenmehrheit angenommen. Gegen den Antrag stimmten die Herren Wilhelm Nause und Gustav Impe“

Aber schon acht Wochen später, am 23.9.1946, beschloss man das Gegenteil:
„…Der gesamte Gemeinderat ist übereinstimmend der Ansicht, dass die Errichtung einer Badeanstalt zur Zeit kein zwingendes Bedürfnis ist, sondern erst Wohnungen zu schaffen sind«
Und dabei ist es ja denn auch bis heute geblieben…

Aber noch einmal zurück in die Nazizeit: Mit zwei Ausnahmen ist die Zusammensetzung des Gemeinderates unverändert geblieben. Vom 16. Februar 1937 fehlt der Name Heinrich Steckhahn in den Protokollen, und am 10 September 1938 gibt der Bürgermeister »den Rücktritt des 1. Beigeordneten Bauer Hermann Fricke bekannt“. An seiner Stelle wird am 25.10.1938 „seitens des Beauftragten der NSDAP Käsefabrikant Otto Röttcher als 1. Beigeordneter ernannt.“ Obwohl es in Immenrode keine Juden gegeben hat, befasste sich die Gemeindevertretung – wahrscheinlich auf höhere Weisung – mit der Judenfrage und beschloss am 15. 6.1939: „Nach Beratung mit den Gemeinderäten wird beschlossen, dass Juden vom Gemeindegliedervermögen ausgeschlossen werden« Die letzte Sitzung vor Kriegsende fand am 29 Dezember 1944 statt Und es dauerte fast ein Jahr, bis am 14.11.45 wieder eine Gemeindevertretung zusammentrat. Als Gemeinderäte werden aufgeführt: Wilhelm Fricke, Heinrich Niemeyer, Gustav Impe, Heinrich Tillig, August Mundt, Wilhelm Nause, Gustav Wesche und Bürgermeister Adolf Jerxsen.

Am 11. 2.1946 findet sich folgende Eintragung: »Die nachgenannten Gemeinderatsmitglieder Wilhelm Fricke, Heinrich Niemeyer, Wilhelm Nause, Gustav Impe, Heinrich Tillig, Gustav Wesche sind im Mai 1945 von dem verstorbenen Bürgermeister Buchterkirchen als Gemeinderäte eingesetzt, weil sie 1933 nach der Machtübernahme der Nazipartei ihres Amtes enthoben worden sind.«

Am 16. März 1946 wurde H. Niemeyer von der Militärregierung zum Bürgermeister ernannt und löste A. Jerxsen ab, der von da an zuerst als Gemeindesekretär, später als Gemeindedirektor hauptberuflich Dienst tat. Interessant ist, wie der Gemeinderat mit der »Vergangenheitsbewältigung« umging: Einen großen »Rachefeldzug« gab es in Immenrode nicht.

Im Protokoll vom 14.11.1945 ist zu lesen: »Der Gemeindeausschuss nimmt Stellung über Weiterführung oder Stillegung des Mischwarengeschäftes des früheren Ortsgruppenleiters Zimmermann und bringt in Erwägung, dass ein Nazigeschäft, wie es von dem Genannten betrieben wurde, sofort zu schließen ist.« Ein ähnlich lautender Beschluss wurde nochmals am 2. 4.1946 gefasst, und am gleichen Tag beriet man einen Dringlichkeitsantrag: ».. .dass in erster Linie die Schuldigen der früheren Nazis mit ihren Familien in ihren Wohnungen aufs äußerste beschränkt werden. «

Vorherrschende Themen der ersten fünf Nachkriegsjahre waren die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge und Vertriebenen: So am 5.12.1945:
»… Die Beschaffung von Wohnungen für Flüchtlinge, die der Wohnungskommission immer Schwierigkeiten macht, soll mit Hilfe der Polizei vorgenommen werden.«
„… Durch die immer zunehmenden Einbrüche in der Gemeinde soll bei der Militärregierung die Genehmigung zur sofortigen Einführung einer Nachtstreife beantragt werden, zu welcher alle männlichen Personen vom 18. bis 65. Lebensjahr verpflichtet werden.« (12. 4.1946).

Besonders viel Kopfschmerzen bereitete den Gemeindevätern die Brotversorgung der auf das Doppelte der Vorkriegszeit angewachsenen Bevölkerung. In der Sitzung vom 17.4.1947 wurde beschlossen:
»1. Die Bäcker sollen dringlichst darauf hingewiesen werden, nur auf Marken, die mit Namen der Einwohner von Immenrode versehen sein müssen, zu verkaufen.
2. Es wird den Bäckern an heim gestellt, bei jeder Ausgabe von Brot jeder Familie 1 Brot, aber nur für die laufende Woche, auszugeben. Wenn genügend Vorrat vorhanden ist, darf mehr ausgegeben werden, aber nicht an Ortsfremde.
3. Bäcker Baumann soll eine Erklärung abgeben, ob er jetzt dauernd backen kann oder nicht;
wenn nicht, muss die Bäckerei sofort neu besetzt werden.
4. Vorbestellungen von Brot und Lieferungen ins Haus sind zu unterbleiben.« Aber auch die Qualität des Brotes bereitete offensichtlich Probleme. So stellt der Gemeinderat am 13.1.1948 fest: »…, dass es nicht möglich sei, dass Bäcker Döhrmann die ganze Bevölkerung mit Brot versorgt, da Brot, welches Bäcker Baumann backt, von der Bevölkerung nicht gekauft wird, da es meistens backig ist und nicht zu verdauen ist. Es sollen Schreiben an die Bäckerinnung und an die Kreisverwaltung gerichtet werden, damit Bäckermeister Willi Heine seine Bäckerei am 1. Februar 1948 wieder selber übernehmen kann.«
Aber so schnell ging das noch nicht, denn im Protokoll vom 14.6.1948 heißt es: ».. .dass die sehr schlechte Brotversorgung am Ort in einer mangelnden und sehr schlechten Geschäftstüchtigkeit des Bäckermeisters Baumann gesehen wird und die Bäckerei sofort neu besetzt werden soll.«

Am 30. November 1946 wurde Herr Ernst Rohde von einer Flüchtlingsversammlung zum Flüchtlingsobmann der Gemeinde gewählt, und dieser Mann sorgte dafür, dass in der Ratssitzung vom 18.3.1947 große Empörung herrschte. In einer Flüchtlingsversammlung am 10.3.1947 war nämlich beschlossen worden, dass die Mitglieder der Gemeindeverwaltung und des Gemeinderates die Versammlung und den Saal verlassen sollten. Gemeinderat Gustav Impe betonte, dass »gerade die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat Vorbildliches für die Flüchtlinge geleistet haben, und zwar in Bezug auf die Beschaffung von Betten, Mobiliar, Kartoffeln u. a.«. Impe stellte dann mündlich den Antrag, »mit Herrn Rohde in allen Ausschüssen nicht mehr zusammenzuarbeiten.«
Die Ratsmitglieder empfahlen Herrn Impe, diesen Antrag bis zur nächsten Sitzung schriftlich einzureichen, und bis dahin war offensichtlich viel Wasser die Wedde hinuntergeflossen. Der Gemeinderat beschloss nämlich am 17.4.1947: »… Herrn Rohde zu allen öffentlichen Gemeinderatssitzungen einzuladen und auch zu nichtöffentlichen Sitzungen, soweit Interessen der Flüchtlinge zur Verhandlung kommen.«

Bewundernswert ist die Zahl der Ausschüsse, die damals gebildet wurden und in denen die Gemeinderäte mitarbeiteten: Holzverteilungsausschuss, Verbraucherausschuss, Wegebauausschuss, Ernährungsausschuss, Wohlfahrtsausschuss, Wohnungsausschuss, Fürsorgeausschuss u. a., und Titel wurden geschaffen, die man zum Beruferaten vorschlagen könnte:
Am 18.3.1947 wurde Wilhelm Fricke zum »Kartoffelkäfervertrauensmann« ernannt, und am 10.6.1947 Ratsmitglied Wilhelm Nause zum »Flurschützer« (Es wurde von Herrn Adolf Lange betont, dass es nur handfeste Kerle sein müssen). Inzwischen hatte es aber auch die ersten Kommunalwahlen gegeben, und am 23. 9.1946 wurde Wilhelm Fricke zum Bürgermeister gewählt; Stellvertreter wurde Gustav Impe.

Konfliktträchtig scheint dann die Sitzung vom 14.12.1948 gewesen zu sein. Darüber vermeldet das Protokoll »Der Bürgermeister Wilhelm Fricke hob hervor, dass es nicht zweckmäßig sei, einen Bürgermeister zu wählen, der von morgens früh bis abends spät außerhalb des Dorfes sei (Anmerkung: Dies konnte nur gegen Gustav Impe gemünzt sein!) und dass ihm heute Abend das Genick gebrochen werden sollte.. .« Aber die Gemeinderäte ließen sich nicht beirren; die Bürgermeister-Neuwahl war offensichtlich beschlossene Sache. Und so heißt es weiter:
»Von der SPD-Fraktion schlug Herr Gustav Pape das Ratsmitglied Herrn Gustav Impe als Bürgermeister vor. Herr Ernst Rohde (inzwischen schon Ratsmitglied) als Sprecher der CDU-Fraktion dankte Herrn Fricke für die geleistete Arbeit als Bürgermeister und hob hervor, dass Herr Fricke im Alter von 73 Jahren als Bürgermeister nicht wiedergewählt werden könnte.«

Die elf Gemeinderäte entschieden dann in geheimer Wahl:

10 Stimmen für Gustav Impe und 1 Stimme für Wilhelm Fricke (beide SPD). Bei der Stellvertreter-Wahl wurde Ferdinand Wesche mit 6 Stimmen gegen 5 Stimmen für Ernst Rohde (beide CDU) gewählt.

Wie schnell sich dann die Verhältnisse in Immenrode normalisierten und in welchem Maße sich auch die Beziehungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen entspannten, geht aus den Sitzungsprotokollen der Jahre 1949/50 hervor:
Wasserversorgung und Wasserleitungsbau – Sportplatzbau Sperlingsbekämpfung – Filmabende Weihnachtsfeier – Osterfeuer Baulandbeschaffung und Bauplatzvergabe – Sechsfamilienhaus – ., nicht andere Tagesordnungspunkte also, als 35 Jahre später.

Im Protokoll vom 28. 6.1950 heißt es: »Die Schulspeisung ist stark zurückgegangen. Sehr viele Essen werden verschüttet, Bücher und Kleider werden beschmutzt. Die Ernährungslage hat sich dermaßen gebessert, dass es nicht erforderlich ist, die Schulspeisung auf dem Lande durchzuführen. Eine Trinkmilchaktion wird gleichfalls für nicht zweckmäßig erachtet,« Einen »Dauerbrenner« gab es aber in allen Gemeinderatssitzungen von 1935 bis 1950 und unabhängig von politischen Systemen, von Mehrheiten und von der jeweiligen Zusammensetzung des Gemeinderates: Der Zustand der Wedde : Verunreinigung – Säuberung – Uferbefestigung – Wedderegulierung.., Und: Wetten, dass…? Immenrodes »Nabelschnur zur großen Welt« wird auch bis zur 1000-Jahr-Feier noch häufig unsere Gemeindeväter beschäftigen.