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Man sollte es nicht für möglich halten, aber genauso war und ist es. Der berühmte Harzkäse entwickelt seine Geschichte und Herkunft nicht etwa im Oberharz oder aus den Ursprüngen des traditionellen Molkereiwesens in Harzer Landen, sondern einzig und allein in Immenrode.
Buttermelknest Immenrode
( v. Karl-Heinz Impe )
„Von woher kommst Du ?“. “Aus Immenrode !“. „Ach, aus dem Bottermelknest !“ Das war früher sehr häufig in Gesprächen mit Auswärtigen zu hören. Unter dem Begriff „Bottermelknest“ ist Immenrode seit 100 Jahren bei den älteren Menschen des Vorharzraumes bekannt. Der Begriff wurde nicht etwa als Schimpfwort oder gar als Beleidigung aufgefasst, ganz im Gegenteil. Man war stolz auf diesen ehrenwerten Beruf, denn „Bottermelk“ bedeutete Käsebacken und hatte im Dorf Immenrode viel Ehre eingebracht.
Der Immenröder Harzkäse wurde mehrfach prämiert und in viele Teile Deutschlands geliefert. In kleineren Mengen sogar bis nach Amerika. Das Käsebacken galt in Immenrode seit ca. 1890 in vielen Bauernhöfen als Nebenverdienst und entwickelte sich zunehmend als Haupterwerbsquelle mit Käseauslieferung in die umliegenden Städte.
Die Anfänge des „Immenröder Käsebackens“ sind mit der heutigen industriellen Produktion nicht vergleichbar. Schließlich wurde noch ohne chemische Hilfsmittel und ohne Maschinen gearbeitet und ohne Verfügbarkeit von Kühlhäusern zur Bevorratung des Rohstoffes Quark und Lagerung der Erzeugnisse.
Und so war es damals: Während die Ehemänner als selbständige Handwerker, kleine Landwirte, Eisenbahner und Bergleute ihrem Gelderwerb nachgingen, betrieben die Ehefrauen das Käsebacken als Zubrot. Je nach benötigter Menge, gingen die Frauen mit der Kiepe oder dem Handwagen zur Immenröder Molkerei, um sich für ihren Bedarf ½ oder 1 Zentner Quark zu holen.
Hierbei tropfte die Molke noch aus der Kiepe oder vom Handwagen. Zu Hause angekommen, wurde der Quark unter ein Brett gelegt. Der so genannte „Käsestein“ sorgte dann mit dem nötigen Druck dafür, dass die Molke schneller ablief. Wenn der Quark dann eine bestimmte Festigkeit hatte, wurde er in einen Holztrog oder in eine Molle getan. Hinzugemengt wurden Salz und Kümmel. Danach wurde der Quark solange geknetet, bis er die erforderliche Festigkeit hatte. Anschließend wurde er mit der Hand geformt und auf Holzhorten, die mit langem Roggenstroh bedeckt waren, ausgebreitet. Die Roggenähren wurden hierfür eigens mit einem Dreschflegel aufgeschlagen – durften also, um das Stroh möglichst lang zu halten, nicht durch die Dreschmaschine gelaufen sein. Während der Reifung des Harzkäses wurde das Stroh von Zeit zu Zeit ausgewechselt.
Der Verkauf des Harzkäses war eine mühselige Angelegenheit. Mit der Kiepe auf dem Rücken, mit dem Handwagen oder mit dem Pferdefuhrwerk wurde durch die Lande gezogen, um in den benachbarten Städten Goslar, Oker, Bad Harzburg, Schladen und Hornburg landwirtschaftliche Produkte aller Art zu verkaufen. Ob Falläpfel, Schmalz, Wurst, Butter, Eier, Tauben, Hühner, Blumen oder gar eingelegte Gurken, mit allem wurde gehandelt, alles wurde verlangt und auch verkauft. Aber das Hauptprodukt bildete stets der der „Immenröder Harzkäse“, der in keinem Sortiment fehlen durfte und der überall gern gekauft wurde.
Adolf Jerxen aus Immenrode erzählte.“ Meine Großmutter handelte mit vielen Produkten wie Eier, Butter, und Harzkäse. Im zeitigen Frühjahr mussten wir als Kinder im Walde sogar Maiglöckchen sammeln, die unsere Großmutter dann verkaufte. Um zu ihrer Kundschaft in Bad Harzburg zu kommen, fuhr sie mit dem Handwagen, in dem die Kiepe stand, bis zum Bahnhof in Vienenburg, von dort mit dem Zuge weiter nach Bad Harzburg. Am Abend ging es wieder zu Fuß über unbefestigte Wege oder Schotterstraßen zurück nach Immenrode“.
Emma und Richard Strübig aus Immenrode berichteten:“ Wir fuhren mit Pferd und Wagen in der Stadt Goslar von Straße zu Straße, um alle landwirtschaftlichen Produkte, die in Immenrode wuchsen oder hergestellt wurden, zu verkaufen. Besonders schwierig war es im Sommer bei großer Hitze. Kühlungen gab es nicht“. Weitere Personen aus gleicher Zeit berichten von Fahrten mit dem Handwagen bis Goslar, wo die Ladung sodann in Kiepen aufgeschultert wurde. „ Abends, auf Goslars Pflasterstraßen, sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ‚pflastermüde` geworden, und mussten dennoch mit dem Handwagen und zu Fuß den Heimweg nach Immenrode antreten.
Herkunft und Geschichte vom Immenröder Harzkäse
(von Georg Metz)
Seit wann es überhaupt Harzkäse gibt, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die frühesten Angaben über den schon damals so genannten „Harzer“ mit seinen Varianten datieren aus den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts.
Grundstoff für den „echten Harzer“ ist der Quark, der als Nebenprodukt bei der Sauerrahmbutterung aus der durch Selbstsäuerung entstandenen Magermilch anfällt. Zur Käseherstellung wurde diese saure Magermilch in den bäuerlichen Haushalten meist in größere Tonschalen gefüllt, dann kreuzweise eingeschnitten und an einen warmen Ort aufgestellt bis sie gerann. Anschließend ließ man die Molke von der so gewonnenen Quarkmasse, dem „Gerinnsel“, ablaufen.
Das geschah entweder in einem locker gewebten Leinentuch, einem daraus hergestellten spitzen Käsebeutel (mundartlich „Keesebüh“), kleinen geflochtenen Körben oder in „Käsenapfen“, das sind Schalen aus Holz oder häufiger noch aus Ton mit Löchern im Boden oder in der Wandung. Erstere werden nur um 1780 erwähnt, Tonschalen dagegen werden seit dem 16. Jahrhundert häufiger in Inventarverzeichnissen von Gutsbetrieben und Bauernhöfen aufgeführt.
Der anfangs aus Quark gewonnene Land- oder Harzkäse wurde ab Anfang des 20. Jahrhunderts zu dem heutigen Harzkäse weiterverarbeitet. Ähnlich wie beim Landkäse wurde der Quark für den Harzkäse kräftig mit Salz und Kümmel durchgeknetet und danach mit der Hand zu kleinen runden oder länglichen Laiben geformt.
Wie aus Aufzeichnungen aus dem Jahre 1880 hervorgeht, kamen auf ein Kilo Quark zwischen 8 bis 16 Käse. Diese wurden auf Lattenrosten, so genannten Horden, unter Wärmeeinwicklung zum Trocken ausgelegt. Im Winter standen diese Horden in der Nähe des Herdes oder Ofens im Hause. Für den Sommer aber befanden sie sich in Lattenkästen, die außen an der Hauswand angebracht waren. Während dieser Trockenlagerung überziehen sich die kleinen Käse innerhalb von 8 Tagen mit einer dünnen, glasig – gelben Haut und zerfallen dann auch bei mäßigem Druck nicht mehr und könnten bereits verzehrt werden.
Bis zur eigentlichen Fertigstellung aber mussten die Harzkäse anschließend noch etwa zwei bis vier Wochen unter nicht zu großer Wärmeeinwirkung getrocknet und bis zu ihrer völligen Reifung in hölzerne Tubben oder Steintöpfe „eingelegt“ werden und zwar jeweils einzeln in Papier, in mit Salzwasser getränkte Leinenläppchen oder – häufiger im Sommer – in Kohlblätter eingeschlagen und anschließend in den Töpfen aufgeschichtet und diese an einen kühlen Ort abgestellt werden.
Zur völligen Reifung dieser eingelegten Käse waren nochmals vier bis fünf Wochen erforderlich. Dann war die ursprünglich weißliche Quarkmasse „fett“, das heißt gelb und durchscheinend geworden. Wurde der Käse jedoch schon halbreif verzehrt, sprach man von „gelbreif“ oder „geelriep“.
Einen Höhepunkt erlebte diese „Käsebäckerei“ vor dem ersten Weltkrieg, wo sie überwiegend von Handwerkern aber auch von Bauernhöfen im Nebenerwerb betrieben wurde. Einen weiteren Aufschwung nahm die „Käsebäckerei“ nach dem Kriegsende 1918, als sich einige dieser Nebenerwerbe zu selbständigen Betrieben vergrößerten und verhältnismäßig viele neu gegründet wurden.
Die meisten dieser kleineren Käsebäckereien wurden jedoch vor kurz vor oder zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Zuge der Zentralisierung der Milchverarbeitung wieder geschlossen. Damit war auch die Zeit vorüber, als die „Käsebäckerei“ ihren Quark von den Molkereien in größeren Mengen in Tonnen von etwa 100 Kilo Fassungsvermögen mit eigenem Pferdefuhrwerk oder aber – bei geringerem Bedarf – in einem Faß oder einer Wanne auf einem von einem Hund gezogenen Wägelchen nach Hause transportierten. Auch die Verarbeitungsmethoden haben sich inzwischen grundlegend verändert.
Zentrum der Harzer Käsebäckerei seit Anfang der 20 Jahre bis Ende 50 Jahre war Immenrode. In den ersten Jahren nach der der Währungsreform ging die Zahl dieser meist als Nebenerwerb betriebenen Käsebäckereien von der Höchstzahl 17 jedoch immer mehr zurück. Von den verbleibenden drei größeren Betrieben in Immenrode gab zunächst die Firma Overbeck & Sohn Ende 1950 auf. Rund zwanzig Jahre später zwangen wirtschaftliche oder persönliche Gründe auch die zuletzt von Walter Schneider als Nachfolger von Hermann Ehlers betriebene Käsebäckerei, sowie auch die Firma Otto Röttcher & Sohn, die von Frau Dora Röttcher nach dem Tode ihres Mannes Alfred noch 10 Jahre geleitet worden war, das Handtuch zu werfen.
Sehr anschaulich schildert Frau Sander, die Großtochter des Firmengründers Otto Röttcher, den Ablauf einer Arbeitswoche in einer Immenroder Käsebäckerei:
„Die Käsebäckerei begann jeweils mittwochs um 4 Uhr morgens mit dem Umfüllen des aus drei Molkereien von dem betriebseigenen Fahrer in Säcken angelieferten Quarks in stabile Holzkisten auf Rollen. Die Menge belief sich je nach Nachfrage auf 800 bis 1.000 Kilo wöchentlich. Dieser in den 2 m langen, 1m tiefen und 0,8 m hohen Holzkisten befindlichen Quarkmasse wurden Gewürze und andere Zutaten beigemengt. Auf je 600 Kilo Quark kamen 17 Pfund Salz, etwa zwei Hände Kümmel ( nach Gefühl und Geschmack ) und eine kleinere Menge Reifungssalz.
Diese Zutaten wurden anfangs mit der Hand, später in einer von Hand gefüllten Knetmaschine gründlich dreimal durchgeknetet. Nach dem ersten Durchgang wurde eine aus einem Seesener Labor gefertigte Weißschimmel-Kultur beigemischt. Die so behandelte Quarkmasse wurde dann in eine große Karre geschüttet und von dort in die Käseformmaschine oben eingefüllt.
Durch Vorsatz von drei verschiedenen Formen an der Austrittsöffnung presste die Maschine den ausgetretenen Quark in verschiedene Formen. Bei der Firma Otto Röttcher & Co waren besonders beliebt der Stangenkäse, der etwa 60 Prozent der Gesamtproduktion ausmachte, ferner der Bauernhandkäse mit etwa 30 Prozent Produktionsanteil und der Korbkäse. Jedes dieser Käsestücke hatte ein Rohgewicht von etwa 270 Gramm, was stichprobenweise überprüft wurde.
Die aus der Maschine kommenden ausgeformten Käse wurden von zwei Frauen, den „Käselinchen“, zu je 18 Stück auf den Holzrahmen mit Korbgeflecht gefertigten Horden ausgelegt. Die zu 18 hochgestapelten Horden wurden im Reifungsraum mit Tüchern abgedeckt und bei Temperaturen von 18 Grad bis 20 Grad bis freitagfrüh gelagert. Dann wurden die Horden so gewechselt, dass die oberen nach unten und umgekehrt kamen und verblieben bis Sonntag weiter im Reifungsraum.
Nach dem vier- bis fünftägigen Reifungsprozess wurden die Käsestücke ab Sonntagmorgen einzeln in Cellophanpapier eingewickelt und in Holzkisten, später in Pappkartons, verpackt. Ab Montagmorgen um 5 Uhr setzten die „Käselinchen“ die von den Familienmitgliedern am Sonntag begonnene Verpackungsarbeit fort, so dass bereits um 7 Uhr morgens die Großhändler in der Umgebung Goslars beliefert werden konnten. Bei der Verpackung waren schnelle Hände gefragt, damit die Liefertermine eingehalten werden konnten. Ein tüchtiges „Käselinchen“ schaffte etwa 20 bis höchstens 25 Kisten in einer Stunde.
Nach dem Großhandel wurde am Dienstag der Einzelhandel in der näheren Umgebung beliefert, dann folgte die Auslieferung an Groß- und Einzelhandel in weiterer Entfernung bis etwa Hildesheim, Braunschweig und Helmstedt. Die Arbeitswoche endete am Donnerstag mit einem großen „Waschtag“, an dem die Horden in großen Waschbottichen, wie sie ältere Hausfrauen noch von ihrer Holzbütte her kennen, tüchtig mit Bürsten „abgeschrubbt“ wurden“.
Die Harzer Käsebäckerei dieser Art gehört inzwischen längst in den Bereich der Nostalgie. Geblieben aber ist ein Produkt, das dank seines niedrigen Fettgehalts von weniger als ein Prozent in der Trockenmasse und seinem auf gesunder Milch basierenden Rohstoff zu den diätetisch hochwertigen und dabei auch noch sehr geschmackvollen Lebens- und Nahrungsmitteln zählt.